2. Für alle Steuerpflichtigen: Abzug von Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung als außergewöhnliche Belastung

Unter dem Aktenzeichen VI R 2/22 müssen die obersten Finanzrichter der Republik klären, ob Aufwendungen für eine homologe künstliche Befruchtung durch In-vitro-Fertilisation einer in einer Partnerschaft lebenden empfängnisfähigen Frau, bei deren männlichem Partner krankheitsbedingte chromosomale Zeugungsrisiken bestehen, als außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 EStG zu berücksichtigen sind. Zudem gilt es zu klären, ob bei Berücksichtigungsfähigkeit als außergewöhnliche Belastung auch die vom Partner im Rahmen des abgekürzten Zahlungsweges gezahlten Aufwendungen anerkannt werden können.

Es ist traurig, dass man über solche Fragen streiten muss, es zeigt aber auch, dass das Steuerrecht immer hinterherhinkt. Aber zu den Fakten des Steuerstreits:

Mit Entscheidung vom 14.12.2021 hat das Niedersächsische Finanzgericht bereits unter dem Aktenzeichen 6 K 20/21 dazu eine lediglich bedingt positive Entscheidung getroffen. Danach gilt: Entsprechend der gesetzlichen Vorschrift in § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. In diesem Fall spricht man von außergewöhnlichen Belastungen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen immer dann zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.

In ständiger Rechtsprechung geht der Bundesfinanzhof dabei davon aus, dass Krankheitskosten dem Steuerpflichtigen immer aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zweck der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglicher zu machen. So die ständige Rechtsprechung des BFH unter anderem mit Urteil vom 2.9.2010 unter dem Aktenzeichen VI R 11/09.

Im Hinblick auf die für den Abzug erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch indizierte Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur „umgangen“ oder kompensiert wird. So beispielsweise im Fall der künstlichen Befruchtung infolge einer Sterilität. Tatsächlich erkennt der Bundesfinanzhof (mittlerweile) in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnung für Ärzte vorgenommen wird.

Vorliegend ging es um eine chromosomale Translokation beim Mann, welche als Krankheit anzusehen ist, da sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein gemeinsames Kind schwerste körperliche oder geistige Behinderungen erleidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist. Das erstinstanzliche Finanzgericht hält es deshalb für angemessen, die vorliegend gegebene chromosomale Translokation angesichts der erheblichen, hieraus resultierenden Risiken und weitreichenden Folgen für ein auf natürlichem Weg gezeugtes Kind als Krankheit des Mannes einzuordnen.

Obwohl selbst nach dieser Einordnung eine Krankheit der Klägerin nicht vorliegt, gelten die für Krankheitskosten entwickelten Grundsätze auch für die Klägerin, denn die Außergewöhnlichkeit sowohl des auslösenden Ereignisses als auch der Höhe der Aufwendungen sowie auch die Zwangsläufigkeit der zur Umgehung der Krankheit durch einen Kinderwunschbehandlung notwendige Aufwendungen sind infolge der gebotenen Gesamtbetrachtung für die gesunde Frau gleichermaßen gegeben. Die aufgrund der biologischen Vorgänge bestehende Zwangsläufigkeit für beide Partner und die Abziehbarkeit von Aufwendungen als dem Grunde nach außergewöhnliche Belastung entfällt entgegen der Auffassung des Finanzamtes auch nicht deshalb, weil die Partner nicht verheiratet sind.

Insoweit ist die Entscheidung der erstinstanzlichen Richter durchgehend positiv, da der Abzug der außergewöhnlichen Belastung zunächst einmal bejaht wird. Vorliegend ist aber noch die Besonderheit, dass entsprechende Zahlungen in Abkürzung des Zahlungsweges geleistet wurden. In Bezug auf die Höhe der als außergewöhnliche Belastung der Klägerin anzuerkennenden Aufwendungen kommt daher das erstinstanzliche Gericht zu der Auffassung, dass lediglich diejenigen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden können, die die Klägerin durch Bezahlung der ihr in Rechnung gestellten Beträge für die Durchführung der künstlichen Befruchtung selbst getragen hat. Die vom potenziellen Kindesvater (mit dem die Klägerin nicht verheiratet ist) geleisteten Zahlungen auf an die Klägerin adressierte bzw. ausgestellte Rechnungen und Rezepte sieht der Senat im Ergebnis nicht als wirtschaftliche Belastung an, die der Klägerin im Sinne des § 33 EStG erwachsen sind.

Insoweit entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass Ausgaben eines Dritten im Fall der sogenannten Abkürzung des Zahlungsweges als Aufwendungen des Steuerpflichtigen zu werten sein können. Abkürzung des Zahlungsweges bedeutet die Zuwendung eines Geldbetrags an den Steuerpflichtigen in der Weise, dass der Zuwendende in Einvernehmen mit dem Steuerpflichtigen dessen Schuld tilgt. Die Aufwendungen sind nicht nur im Fall der Abkürzung des Zahlungsweges den Steuerpflichtigen zurechenbar, sondern ebenso, wenn der Dritte im eigenen Namen für den Steuerpflichtigen einen Vertrag abschließt und aufgrund dessen auch selbst die geschuldete Zahlung leistet. Hierbei spricht man vom sogenannten abgekürzten Vertragsweg.

Im Bereich der außergewöhnlichen Belastung gilt jedoch der Grundsatz, dass die fraglichen Aufwendungen dem Steuerpflichtigen erwachsen sein müssen. Der Steuerpflichtige muss wirtschaftlich mit den Aufwendungen belastet sein. Auf die Herkunft der Mittel kommt es nicht an. Unerheblich ist auch, ob der Steuerpflichtige über eigenes Vermögen verfügt oder ob er Geld von einem Dritten geschenkt erhalten hat. Es entspricht zudem der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass eine außergewöhnliche Belastung des Steuerpflichtigen durch Krankheitskosten dann nicht anzuerkennen ist, wenn der Steuerpflichtige wegen seiner Aufwendungen dadurch entschädigt worden ist, dass ihm entsprechende Beihilfen oder Versicherungsleistungen gewährt wurden. Könnte dem Steuerpflichtigen die Anerkennung auch dann nicht versagt werden, wenn ihm die für die Begleichung der Aufwendungen erforderlichen Mittel geschenkt worden sind, müsste im Fall des Ersatzes der Aufwendungen durch Beihilfen oder Versicherungsleistungen die Belastung doch deswegen verneint werden, weil hier eine enge Bindung zwischen Aufwand und Ersatz besteht.

Dementsprechend sind die erstinstanzlichen Richter der Meinung, dass eine Berücksichtigung bei dem anderen Partner bzw. der anderen Partnerin nach den Grundsätzen des abgekürzten Zahlungsweges nicht erfolgen kann.

Betroffene sollten sich an das Musterverfahren beim Bundesfinanzhof unter dem Aktenzeichen VI R 2/22 anhängen, denn aktuell bleibt erst einmal abzuwarten, ob die drakonische Entscheidung aus Niedersachsen auch tatsächlich durch die obersten Finanzrichter der Republik bestätigt wird.