2. Für alle Steuerpflichtigen: Besteuerung eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses

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Der Bundesfinanzhof in München musste klären, von wem ein zweitberufener Vermächtnisnehmer das Vermächtnis erwirbt, wenn der erstberufene Vermächtnisnehmer bereits verstorben ist. In einer gut begründeten Entscheidung vom 31.8.2021 unter dem Aktenzeichen II R 2/20 nimmt der Bundesfinanzhof dazu ausführlich und sehr aufschlussreich Stellung. Unter anderem heißt es in der Entscheidung wie folgt:

Das Vermächtnis stellt erbschaftsteuerrechtlich einen Erwerb von Todes wegen dar. Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten fällig sind, werden über eine Gleichstellung mit den Nacherbschaften erbschaftsteuerrechtlich im Wesentlichen so behandelt wie Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten anfallen.

Der Anfall der Nacherbschaft gilt grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben. Während zivilrechtlich der Vorerbe und der Nacherbe zwar nacheinander, aber beide vom ursprünglichen Erblasser erben, gilt erbschaftsteuerlich der Vorerbe als Erbe. Geregelt ist dies nicht nur aufgrund der Vorschrift in § 6 Abs. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG), sondern es ergibt sich auch aus der höchstrichterlichen Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 13.4.2016 unter dem Aktenzeichen II R 55/14.

Der Erwerb des Vorerben unterliegt in vollem Umfang und ohne Berücksichtigung der Beschränkung durch das Nacherbenrecht der Erbschaftsteuer, wie bereits der Bundesfinanzhof in seiner Entscheidung vom 23.8.1995 unter dem Aktenzeichen II R 88/92 herausgearbeitet hat. Bei Eintritt der Nacherbfolge haben diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Die Vorschrift fingiert für erbschaftsteuerrechtliche Zwecke, dass der Nacherbe Erbe des Vorerben wird. Auf Antrag ist der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen.

Die gesetzliche Regelung in § 6 Absatz 4 ErbStG überträgt diese Systematik auf Vorvermächtnisse und Nachvermächtnisse sowie auf Vermächtnisse, die erst mit dem Tod des Beschwerten fällig werden. Ausweislich der ersten Alternative der vorgenannten Regelungen stehen Nachvermächtnisse den Nacherbschaften gleich. Ebenso wie zivilrechtlich Vorvermächtnisnehmer und Nachvermächtnisnehmer entsprechend dem Vorerben und Nacherben behandelt werden, fingiert die Vorschrift für erbschaftsteuerliche Zwecke, dass der Nachvermächtnisnehmer das Vermächtnis vom Vorvermächtnisnehmer erwirbt. Sowohl bei Anfall des Vorvermächtnisses als auch bei Anfall des Nachvermächtnisses entsteht daher Erbschaftsteuer.

Wird der Vorvermächtnisnehmer entsprechend der Regelung in § 6 Abs. 1 ErbStG als Vermächtnisnehmer nach dem ursprünglichen Erblasser behandelt, unterliegt sein Vermächtniserwerb der Erbschaftsteuer, ohne dass die Beschränkungen durch das Nachvermächtnisses berücksichtigt werden können. Der Nachvermächtnisnehmer hat entsprechend der Regelung in § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG bei Eintritt des Nachvermächtnisfalls den Erwerb seines Vermächtnisses als vom Vorvermächtnisnehmer stammend zu besteuern und kann nur auf Antrag der Versteuerung sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde legen.

Entsprechend der Alternative zwei in § 6 Abs. 4 ErbStG stehen ferner beim Tod des Beschwerten fällige Vermächtnisse und Auflagen den Nacherbschaften gleich. Diese Vorschrift spricht das sogenannte betagte Vermächtnis an, dass zwar mit dem Erbfall entsteht, dessen Fälligkeit jedoch auf einen späteren Termin hinausgeschoben ist, wie bereits der Bundesfinanzhof in einer Entscheidung vom 20.10.2015 unter dem Aktenzeichen VIII R 40/13 geklärt hat.

Der durch ein solches betagtes Vermächtnis Beschwerte gilt als Vermächtnisnehmer nach dem Erblasser. Der Vermächtnisnehmer des betagten Vermächtnisses erwirbt vom Beschwerten. Der Tod des Beschwerten ist somit für die Erbschaftsteuer des Vermächtnisnehmers keine aufschiebende Bedingung für die Entstehung der Steuer, sondern begründet erst den steuerbaren Tatbestand. Die beschriebene zweite Alternative gilt mangels anderweitiger Anordnung auch dann, wenn das Vermächtnis nicht nur betagt, sondern zivilrechtlich zudem ein Nachvermächtnis ist. Auf Antrag ist wiederum die Besteuerung im Verhältnis zum Erblasser zugrunde zu legen.

Ist ein Vermächtnis erst mit dem Tod des beschwerten Erben fällig und ein zweiter Vermächtnisnehmer für den Fall bestimmt, dass der erste Vermächtnisnehmer vor Fälligkeit des Vermächtnisses verstirbt, erwirbt der zweitberufene Vermächtnisnehmer von dem beschwerten Erben, nicht aber vom erstberufenen Vermächtnisnehmer. Zeitpunkt des Erwerbs ist der Tod des Erben. Ob zivilrechtlich die beiden Verhältnisse als Vorvermächtnis und Nachvermächtnis zu qualifizieren sind, ist für Zwecke der Erbschaftsteuer nicht erheblich.

Der Tod des Erblassers führt noch nicht zu einem steuerbaren Vermächtniserwerb. Ungeachtet der Frage, ob der erste Vermächtnisnehmer zivilrechtlich ein Vorvermächtnis erworben hat, ist dieses erbschaftsteuerrechtlich entsprechend der zweiten Alternative nicht zu berücksichtigen. Aus demselben Grund ist mit dem Tod des ersten Vermächtnisnehmers hinsichtlich des Vermächtnisses kein erbschaftsteuerbarer Tatbestand bei dem zweiten Vermächtnisnehmer verwirklicht. Solange der beschwerte Erbe noch lebt, ist das Vermächtnis noch nicht fällig.

Ist mit dem Tod des beschwerten Erben schließlich das Vermächtnis fällig geworden, liegt erbschaftsteuerrechtlich bei dem zweiten Vermächtnisnehmer ein der Nacherbschaft gleichstehender Erwerb vor. Der beschwerte Erwerber steht dem Vorerben gleich und gilt als Erbe. Der zweite Vermächtnisnehmer steht dem Nacherben gleich und hat das Vermächtnis mit diesem Zeitpunkt als vom beschwerten Erben stammend zu versteuern. Auf Antrag ist der Besteuerung das Verhältnis zu dem ursprünglichen Erblasser zugrunde zu legen.

Nach diesen Rechtsgrundsätzen kommt der Bundesfinanzhof schließlich in seinen Leitsätzen zusammengefasst zu dem Ergebnis, dass der Vermächtnisnehmer eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses erbschaftsteuerrechtlich vom Beschwerten erwirbt. Fällt der erstberufene Vermächtnisnehmer vor Fälligkeit des Vermächtnisses weg, erwirbt der zweitberufene Vermächtnisnehmer ebenfalls vom Beschwerten und nicht vom erstberufenen Vermächtnisnehmer.