7. Für Vermieter: Eine kürzere Restnutzungsdauer des Gebäudes kann durch Wertgutachten nachgewiesen werden

Bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, ist jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt. Man spricht dabei vom Grundfall der sogenannten Abschreibung in gleichen Jahresbeträgen. Die Abschreibung bemisst sich dabei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsgutes. Abweichend von dieser Grundregel bestimmt sich die Abschreibung für ein zur Einkünfteerzielung genutztes Gebäude nach den festen Prozentsätzen der gesetzlichen Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Die Regelung stellt eine gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer dar. Grundfall ist hier ein Abschreibungssatz von 2 %, also eine Nutzungsdauer von 50 Jahren.

Ausweislich der Vorschrift in § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG kann anstelle der vorgenannten Abschreibung auch die der tatsächlichen kürzere Nutzungsdauer eines Gebäudes entsprechende Abschreibung vorgenommen werden. Nutzungsdauer im Sinne dieser Vorschrift ist dabei ausweislich einer Regelung in § 11c Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) der Zeitraum, in dem ein Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann. Die zu schätzende Nutzungsdauer wird bestimmt durch den technischen Verschleiß, die wirtschaftliche Entwertung sowie rechtliche Gegebenheiten, welche die Nutzungsdauer eines Gegenstands begrenzen können. Auszugehen ist von der technischen Nutzungsdauer, also dem Zeitraum, in dem sich das Wirtschaftsgut technisch abnutzt. Sofern die wirtschaftliche Nutzungsdauer kürzer als die technischen Nutzungsdauer ist, kann sich der Steuerpflichtige hierauf berufen. Ob der Abschreibung eine die gesetzlich vorgesehenen, stilisierten Zeiträume unterschreitende verkürzte Nutzungsdauer zugrunde gelegt werden kann, beurteilt sich jeweils nach den Verhältnissen des Einzelfalles. Dies hatten bereits die obersten Richter des Bundesfinanzhofs in einem Urteil vom 4.3.2008 unter dem Aktenzeichen IX R 16/07 herausgearbeitet.

Im Ergebnis ist es damit Sache des Steuerpflichtigen, im Einzelfall eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer darzulegen und gegebenenfalls nachzuweisen. So auch der Bundesfinanzhof in einer recht jungen Entscheidung vom 28.7.2021 unter dem Aktenzeichen IX R 25/19. Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächliche Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Erforderlich ist dabei allerdings, dass die Darlegung des Steuerpflichtigen Aufschluss über die maßgeblichen Gründe, zum Beispiel den technischen Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung oder rechtliche Nutzungsbeschränkungen gibt, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist.

Dies bedeutet, dass die Bestimmung zur verkürzten Nutzungsdauer dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht einräumt, ob er sich mit dem typisierenden Abschreibungssatz ausweislich der Regelung in § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG zufrieden gibt oder eine tatsächlich kürzere Nutzungsdauer geltend macht und dann natürlich auch die Gründe dafür darlegt. Auszugehen ist im Rahmen der vom Finanzamt durchzuführenden Amtsermittlung von der Schätzung des Steuerpflichtigen, solange dieser Erwägungen zugrunde liegen, wie sie ein vernünftig wirtschaftender Steuerpflichtiger üblicherweise anstellt. Auch dies hat der Bundesfinanzhof in seiner oben zitierten Entscheidung vom 28.7.2021 ganz konkret dargelegt.

Da im Rahmen der Schätzung des Steuerpflichtigen nicht Gewissheit über die kürzere tatsächliche Nutzungsdauer, sondern allenfalls größtmögliche Wahrscheinlichkeit verlangt werden kann, ist sie nur dann seitens der Finanzverwaltung zu verwerfen, wenn sie eindeutig außerhalb des angemessenen Schätzungsrahmens liegt. So hat nicht nur das Finanzgericht Köln in einer Entscheidung vom 23.1.2001 unter dem Aktenzeichen 8 K 6294/95 entschieden, sondern auch bereits eine ganze Zeit früher der Bundesfinanzhof durch Urteil vom 28.9.1971 unter dem Aktenzeichen VIII R 73/68.

Auf Linie der aktuellen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs arbeiten auch die erstinstanzlichen Richter heraus, dass entgegen der Auffassung des Finanzamtes die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens seitens der Steuerpflichtigen nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächliche Nutzungsdauer ist. Wählt ein Steuerpflichtiger oder ein beauftragter Sachverständiger aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann diese Grundlage für eine Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein. Da im Rahmen der Schätzung nur die größtmögliche Wahrscheinlichkeit über eine kürzere tatsächliche Nutzungsdauer verlangt werden kann (siehe die Ausführungen oben), würde eine Verengung der Gutachtermethodik oder eine Festlegung auf ein bestimmtes Ermittlungsverfahren die Anforderungen an die Feststellungslast übersteigen.

Im vorliegend abgeurteilten Streitfall hatte der Kläger ein Wertgutachten des öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vorgelegt, welches vom Amtsgericht in Auftrag gegeben wurde, also kein Parteigutachten darstellt. Der Gutachter kommt darin zu dem Ergebnis, dass die Restnutzungsdauer des Hauses lediglich 30 Jahre beträgt. Hierbei hat er wegen Modernisierungen und Zustand ein fiktives Baujahr angegeben, obwohl das Gebäude tatsächlich früher errichtet wurde. Nach seiner Einschätzung bzw. der Einschätzung der Eigentümer entsprachen jedoch mehrere Wohnungen der Ausstattung des tatsächlichen Baujahres. Dies wurde faktisch dadurch bestätigt, dass in den nach der Anschaffung folgenden Jahren umfangreiche Sanierungsarbeiten durchgeführt wurden, welche als anschaffungsnahe Herstellungskosten in die Abschreibungsbemessungsgrundlage eingeflossen sind. In seiner Wertermittlung für das streitige Gebäude muss der Gutachter das Alter und die Restnutzungsdauer des Gebäudes einbeziehen. Nach der auf den Stichtag der Bewertung der streitigen Immobilie geltenden Wertermittlungsverordnung bestimmt sich eine Wertminderung wegen Alters nach dem Verhältnis der Restnutzungsdauer zur Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlage. Sie ist mit einem Prozentsatz des Herstellungswert auszudrücken. Ist die bei ordnungsgemäßem Gebrauch übliche Gesamtnutzungsdauer der baulichen Anlage durch Instandsetzungen oder Modernisierungen verlängert worden oder haben unterlassene Instandhaltungen oder andere Gegebenheiten zu einer Verkürzung der Restnutzungsdauer geführt, soll der Bestimmung der Wertminderung wegen Alters die geänderte Restnutzungsdauer und die für die baulichen Anlagen übliche Gesamtnutzungsdauer zugrunde gelegt werden.

Dementsprechend kommt der vorliegend erkennende Senat des erstinstanzlichen Gerichtes zu dem Schluss, dass der Sachverständige aufgrund sachlicher Kriterien eine Restnutzungsdauer von 30 Jahren zugrunde gelegt hat und damit eine von der gesetzlichen typisierenden Nutzungsdauer abweichende Restnutzungsdauer. Unter anderem hat er festgestellt, dass erhebliche Instandsetzungsarbeiten bis zur Kernsanierung mit Erneuerung und Ergänzung der gesamten Installation erforderlich waren, um eine nachhaltige Nutzung mit modernem Wohnraum zu schaffen. Dementsprechend folgt der Senat den fundierten Ausführungen des Gutachters und kann im vorliegenden Fall entgegen der Meinung des Finanzamtes feststellen, dass die tatsächliche Nutzungsdauer der streitgegenständlichen Immobilie zum Zeitpunkt der Anschaffung auf 30 Jahre verkürzt war.

In der Praxis sollte genau geprüft werden, ob in dem jeweiligen Einzelfall eventuell eine kürzere Restnutzungsdauer der Immobilie angesetzt werden kann, welche natürlich wiederum zu einer erhöhten Abschreibung und damit zu einer wahrscheinlich deutlichen Steuerersparnis führt.